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Starrer Baum vs. flexibler Baum

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Die meisten Pferdebesitzer stehen ja irgendwann vor der Kaufentscheidung für einen Sattel. Oft ruft man einen Sattler aus der näheren Umgebung, welchen man entweder über Reiterkollegen kennt oder über Telefonbuch und Internet ausfindig gemacht hat. Dieser bringt dann einige Modelle mit, die man probieren kann. Im besten Fall reitend – viel zu häufig wird noch am stehenden Pferd aufgelegt und entschieden. Letztlich fällt die Entscheidung auf den Sattel, welcher einem am meisten zusagt. Oft ist damit zumindest der Reiter jahrelang glücklich.

Wenn Rittigkeitsprobleme oder Widersetzlichkeiten auftreten, kommt selten jemand direkt auf die Idee, es könne am Sattel liegen (es liegt auch nicht unbedingt immer am Sattel, das muss auch ganz deutlich gesagt werden). Es werden erst alle Register gezogen, von Tierarzt und sämtlichen weiteren Behandlern über Reitunterricht, Beritt, Futter- und Haltungsumstellung; zumindest dann, wenn der Reiter am Wohlergehen des Pferdes interessiert ist. Es gibt ja auch die Fraktion "zeig dem Gaul mal, wo der Hammer hängt", die jegliche Unmutsäußerung des Pferdes gnadenlos hart bestraft. Aber wer so denkt, der wird sich auch selten mit dem Thema "passender Sattel" beschäftigen.

Wer es tut, wird mit Entsetzen feststellen, dass der vom Reiter heiß geliebte Sattel beim Pferd gar nicht so beliebt ist, weil er nämlich leider nicht passt. Guter Rat ist teuer – und das Kaufen und Ausprobieren zahlreicher Sattelmarken und Modelle leider auch. Die nun folgende „Sattelodyssee“ hat schon so manchen Reiter an den Rand der finanziellen Möglichkeiten getrieben.

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Nicht wenige kommen deshalb irgendwann an den Punkt, an dem auch mal im "alternativen" Lager geschaut wird. Und die Unsicherheit ist groß, denn man hört von vielen Fachleuten und Mitreitern die gruseligsten Dinge über diese "baumlosen Dinger". Vom schwammigen Sitz, über Rutschprobleme zu punktuellem Druck ist da alles dabei. Als absolut kompetentes Überzeugungsargument kommt dann noch die Überzeugung dazu, dass starre Bäume ja schließlich extra für das Wohlergehen des Pferdes entwickelt wurden. Weil ein starrer Baum ja schließlich das Gewicht über die gesamte Länge verteilen würde.

Nun, auch wenn Pferde schon immer einen hohen Wert darstellten und kein Reiter ohne Not die Gesundheit seines Pferdes riskiert hätte, muss man doch klar sagen: Es war zu allen Zeiten der Komfort und die Sicherheit des Reiters, welches die Gestaltung und den Aufbau des Sattels bestimmte. Dem folgte dann der Anspruch, dass der Sattel auch für das Pferd "tragbar" sein musste. Besonders deutlich wurde das, als mit der Beginn der Industrialisierung auch der Reitsattel vom Band kam und nicht mehr wie früher von Hand für ein bestimmtes Pferd hergestellt wurde. Von daher ist es meine Überzeugung, dass starre Systeme eben nicht für das Pferd geschaffen wurden, sondern lediglich für den Menschen und man in der Folge lediglich versuchte, für das Pferd das Beste daraus zu machen, was aber nur relativ mangelhaft gelang.

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Warum aber mangelhaft? Nun, das ist einfach. Der Pferderücken bewegt sich. Ein starrer Baum bewegt sich zwar in einem gewissen Maß mit, kann aber die komplexe dreidimensionale und wechselseitige Auf- und Ab-Bewegung nur in geringem Maße mitmachen. Das führt zwangsläufig zu Druckspitzen. Je besser ein starrer Sattel an den Pferderücken angepasst ist und je besser die Polsterung ist, umso mehr „schnell wechselnde“ Druckpunkte wird es geben. Je mehr Druck- (Auflage)punkte, umso besser die gesamte Druckverteilung. Je mehr sie wechseln, umso besser, denn dann verteilt sich der Druck.
Aber die feste Überzeugung, dass ein starrer Baum den Druck gleichmäßig verteilt, und somit das Reitergewicht gleichmäßig auf dem Pferderücken verteilt wird, ist leider eine absolut irrige Annahme. Das Gewicht wird zwar – vorausgesetzt, dass der Sattel im absoluten Gleichgewicht liegt – tatsächlich über die gesamte Auflagefläche des Baumes verteilt, aber das bedeutet eben nicht zwangsläufig auch, dass diese Gewichtsverteilung genauso gleichmäßig auf den Pferderücken übertragen wird. Das ginge nur, wenn der Baum überall und stets ganz gleichmäßig am Pferderücken anliegen würde. Und das ist schon durch die dreidimensionale Bewegung des Rückens, welche der starre Sattelbaum so nicht mitmachen kann, gar nicht möglich. Man denke da allein an die Veränderung der Rückenlinie von geschwungen auf gerade beim Heben des Rückens.

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Und nun gehen wir einmal ein wenig in die Praxis: Wer Sättel anpasst, kommt sehr häufig zu Pferden, deren Sättel z.B. eine Brücke bilden. Das bedeutet: Ein Großteil der Sattelunterseite hat keinen Kontakt zum Pferderücken und das gesamte Gewicht des Reiters verteilt sich lediglich auf 4 Kontaktpunkte zwischen Sattel und Pferderücken. Man sieht auch häufig Sättel, deren Schwerpunkt nach vorne oder hinten verschoben ist. Dann ist auch die Gewichtsverteilung entsprechend verschoben. Dieses Problem lässt sich durch die Polsterung nur sehr bedingt lösen. Außerdem wird hier gerade bei bestehenden Atrophien im Trapezmuskelbereich sehr gerne einfach das Kopfeisen enger gemacht. So wird dem abkippen in die Mulde, die die zurückgegangene Muskulatur hinterlässt, vorgebeugt - und leider der Prozess des Muskelrückgangs verstärkt. Einen starren Sattel auf einen defizitären Muskelzustand anzupassen ist ein grober Kunstfehler, der nur immer größere Probleme verursacht.

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Nun ist es aber manchmal eine echte Herausforderung, eine fachgerechte Anpassung vorzunehmen. Das geht schon mit der, in vielen Reiterköpfen nicht auszumerzenden, Meinung los, ein Sattel müsse "blank" auf ein Pferd passen. Jegliche Zusatzpolsterung scheint da ein Beweis eines nicht passenden Sattels zu sein.

Meine Meinung dazu ist eigentlich ganz einfach: ein muskeltechnisch "defizitäres" Pferd ist meistens nicht ohne geeignete Hilfsmittel so zu besatteln, dass sich der Zustand optimieren kann. Muskulatur ist die körpereigene Polsterung. Fehlt diese, muss sie eben ersetzt werden. Ob das durch ein Lammfell geht oder eine andere polsterbare Unterlage, kommt dann auch immer auf die individuellen Bedingungen an. Der große Vorteil einer "externen" Polsterung liegt in der einfachen und schnellen Korrekturmöglichkeit für den Reiter, mit der er auf die sich ändernden Bedingungen reagieren kann, statt lange auf einen Sattlertermin warten zu müssen (trotzdem sollten gerade bei solchen Aufbaukandidaten regelmäßige Kontrollen durch einen guten Sattler durchgeführt werden).

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Gute, flexible Systeme, die generell nach denselben Prinzipien wie starre Systeme angepasst werden müssen, haben nun den Vorteil, dass sie die dreidimensionale Bewegung des Pferderückens wesentlich besser mitmachen können. Einfach deswegen, weil diese Sättel in sich beweglich sind. Einige mehr, andere weniger. Aber diese Flexibilität ist ein Grundmerkmal. Dadurch gibt es wesentlich weniger Druckspitzen, eine Brückenbildung ist unwahrscheinlicher und somit ist die gesamte Druckverteilung für den Pferderücken deutlich positiver. Allerdings gilt auch hier: eine fachgerechte Anpassung ist immer die erste und wichtigste Voraussetzung.

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Was ist das Problem an den Systemen, die man selbst anpassen kann? Da kann man doch nichts falsch machen, sonst würde so etwas doch gar nicht verkauft werden, oder?

Leider stimmt das so nicht. Man kann mit jedem Ausrüstungsgegenstand am Pferd etwas gravierend falsch machen. Druckstellen durch die Wahl einer ungeeigneten Satteldecke, offene Scheuerstellen durch einen falsch gewählten Gurt, Nekrosen durch verkehrt angelegte Gamaschen und Bandagen, schmerzhafte Maulverletzungen durch falsch angepasste Gebisse.... die Liste ist lang. Und alles wird auch ohne fachlich versierte Beratung verkauft und selbst angepasst. Warum sollte das also bei dem Thema Sattel anders sein? Der einzige Unterschied zwischen einem selbst anzupassenden, flexiblen System und einem starren Sattelbaum-Modell ist die Tatsache, dass sich Anpassungsfehler oft nicht ganz so schnell gravierend auswirken. Und das sollte niemand riskieren, dem sein Pferd am Herzen liegt. So verlockend der Gedanke sein mag, die Kosten für eine Fachkraft sparen zu können, sollte man doch vor Anschaffung eines solchen Sattels in sich gehen und sich die Frage stellen, ob man wirklich so gut Bescheid weiß, dass man die Anpassung selber vornehmen kann. Oder ob es nicht schlauer wäre, wenigstens einmal fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich alles genau erklären und zeigen zu lassen. Das ist meines Erachtens nämlich der beste Start in die Karriere des "Selbermachers".

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Flexibel oder starr – was ist nun besser?

Flexible Sattelsysteme laden zum Selbermachen ein und haben auch deshalb einen schlechten Ruf, weil zu viele Reiter diese Systeme aus Unwissenheit selbst falsch anpassen. Bei starren Systemen ist die Hemmschwelle höher, wenn auch nicht hoch genug, wie so manches System mit wechselbarem Kopfeisen und starrem Baum beweist. Letztlich müssen aber alle Systeme - ob starr oder flexibel - passen. Ist das der Fall, können die flexiblen Systeme all die beschriebenen Stärken am Pferderücken ausspielen. Wir sehen den Lederbaum dabei als optimale Mischung aus Stabilität und Flexibilität. Richtig angepasst und korrekt genutzt, verteilen Lederbaumsättel das Gewicht optimal und erlauben zugleich eine sehr gute dreidimensionale Beweglichkeit.

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